Die erste Woche unseres diesjährigen Sommerurlaubs führte uns in die französischen Alpen in den Parc national du Mercantour unweit der italienischen Grenze. Dieses Ziel war inspiriert vom Informationsheft « Haut Pays », das uns Karin von einer ihrer Anfahrten nach Montpellier mitgebracht hatte und das unsere Neugier geweckt hatte.
Die Fahrt von Montpellier durch die Provence über Grasse und Vence erinnerte uns an unseren Silvesterurlaub, den wir vor wenigen Jahren in dieser Gegend verlebt hatten. Nur dass es diesmal deutlich wärmer war. Dank GPS wurde unser Feriendomizil rasch gefunden, wenngleich die Zufahrt zunächst einen kleinen Schreck verursachte angesichts ihres Gefälles… Sechs Tage Wandern standen auf dem Programm. Das Wetter meinte es alles in allem gut mit uns und den einzigen Regentag widmeten wir einer Autorundreise quer durch den Nationalpark. In den 5 verbleibenden Tagen wanderten wir knapp 60 km und bewältigten über 2700 Höhenmeter:
- 25. Juni – Aufstieg zur Cime de la Bercha: 14,4 km & 650 Hm
- 26. Juni – Unwetter am Col du Lausfer: 9,75 km & 500 Hm
- 27. Juni – Vom Col de la Moutière zur Cime Plate: 11,2 km & 540 Hm
- 28. Juni – Rundreise durch den Parc national du Mercantour: 238 km & 5470 Hm
- 29. Juni – Monte dell’Aver & Colle dei Morti: 9,76 km & 690 Hm
- 30. Juni – Vom Col de la Moutière zur Cime de la Blanche: 13,5 km & 350 Hm
Tag 1 – Aufstieg zur Cime de la Bercha. Wir beschlossen, uns am ersten Tag eine Anfahrt per Auto zu ersparen und stattdessen durch den Ort aufzusteigen, um so auch gleich die Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten zu recherchieren. Aber das war keine so gute Idee, denn der steile und etwas untrainierte Aufstieg über 650 Höhenmeter gleich zu Beginn des Urlaubs stellte unsere Kraft und Geduld auf die Probe. Aber im Angesicht des Gipfelkreuzes war Birgit schließlich nicht mehr zu bremsen! Eine kurze Bananen-Keks-Pause wurde zum Markenzeichen unseres Wanderurlaubs. Ein schöner Panoramaweg oberhalb von Auron entschädigte für die Anstrengungen. Ab und an sahen wir wenig vertrauenswürdige Abschnitte eines Klettersteigs. Ob dieser noch auf den Saisonbeginn wartete? Einiges schien hier noch im Dornröschenschlaf zu liegen – Geschäfte waren spärlich, wenn überhaupt, geöffnet. Eine weitere Rast an einem Speicherbecken schloss sich an, bevor wir uns auf den kräftezehrenden Rückweg über Forstweg und Skipisten machten. Im Ort angekommen kochte der Asphalt und wir fürchteten, mit unseren Wanderstiefeln in selbigem kleben zu bleiben. Wie herrlich war die Dusche nach dieser Anstrengung!
Tag 2 – Unwetter am Col du Lausfer. Knapp eine Autostunde entfernt liegt das Santuario Sant’Anna di Vinadio, ein Kloster hoch oben in den italienischen Bergen, wie so oft zurückgehend auf eine Marienerscheinung. Die kurvenreiche Anfahrt dorthin führte uns durch den Wintersportort Isola 2000 und über den Col de la Lombarde (2350 m). Herrliches, einsames Wandergebiet wartete darauf, von uns erkundet zu werden. Ein Rundweg führte vom Kloster hoch zum Passo Tesina (2400 m). Dort angekommen, folgten wir einem schönen Höhenweg bis zum Col du Saboulé (2460 m) an der französisch-italienischen Grenze. Ab und an mussten wir ein kleines Schneefeld queren. Zwei wunderschöne Bergseen säumten unseren Weg, bevor wir am Col du Lausfer (2430 m) ankamen. Während wir noch gemütlich beim Picknick saßen, vernahmen wir erstes Donnergrollen. Geschwind packten wir zusammen und flugs ging es bergab. Doch das Gewitter war schneller! Regen und Hagel gingen hernieder und gerade noch rechtzeitig fanden wir einen Unterstand (Rifugio Tallone), um das gröbste abzuwarten. Eine gute Stunde pladderte es, was das Zeug hielt. Zurück im Kloster musste eine Flasche Genepi mit ins Gepäck… 🙂
Tag 3 – Vom Col de la Moutière zur Cime Plate. Über Saint-Étienne-de-Tinée und Saint-Dalmas-le-Selvage ging es hoch zum Col de la Moutière, wo ein kleiner Parkplatz auf uns wartete. Unterwegs wurden noch Bananen und Baguette fürs Picknick gekauft. Zu Beginn der Aller-Retour (Hin-und-Zurück)-Wanderung ging es erstmal gut 100 Höhenmeter hinab, was sich psychologisch als wenig vorteilhaft entpuppte. (Man denke nur an den Rückweg!) Vorbei an alten Militärbunkern zog sich der Weg in die Länge und das Ziel der Wanderung lag weit oben in der Höhe. So veränderte sich der Blick auf die Landschaft nur graduell – keine überraschenden Ausblicke – und Birgit fühlte sich an die legendäre Rondane-Wanderung in Norwegen erinnert, die als Bezeichnung für lange & langweilige Touren herhalten muss. Nachdem wir ein Zwischenplateau erreicht hatten, schien es, dass wir die Tour abbrechen würden. Noch immer lagen 200 steile Höhenmeter vor uns! Oben auf dem Pass konnten wir ein paar Gestalten erkennen, die sich in unsere Richtung aufmachten. Keine 20 Minuten vergingen, und sie waren schon fast bis zu uns abgestiegen. Das weckte unseren Ehrgeiz und ein-zwei-drei standen auch wir auf der Cime Plate. Der Pass entpuppte sich als recht schmaler Grat und die letzten Meter des Pfads verliefen über steil abschüssiges und wenig Halt gebendes Geröll. Wir wollen nicht verheimlichen, dass Ralf etwas weiche Knie bekam und schnell wieder hinab wollte. Stolz traten wir den Rückweg an und an einem schönen Wasserfall genossen wir unser wohlverdientes Picknick. Den krönenden Abschluss der Tour stellte zweifellos das kurze Auftauchen eines Steinbocks dar.
Tag 4 – Rundreise durch den Parc national du Mercantour. Regen war vorhergesagt – daher wurde dieser Tag einer Autorundreise durch den Nationalpark Mercantour gewidmet. Zunächst ging es zum Col de la Bonette, dem höchsten Gebirgspass Europas (2715 m). Wir erklommen den Gipfel der Cime de la Bonette (2860 m), von wo sich ein einmaliger 360-Grad Rundblick eröffnete. Frisch war’s da oben (8 Grad Celsius)! Weiter ging’s hinab ins Tal der Ubaye. Nach Kurzbesichtigung des Örtchens Jausiers hielten wir fürs Mittagessen (Ravioliauflauf) in Barcelonette, einem Mekka für Rennrad- und Motorradfahrer/innen. Donnergrollen schwoll an und ein erster kräftiger Regenschauer ging hernieder. Anschließend fuhren wir durch das malerische Tal des Bachelards hinauf zum nächsten Pass, dem Col de la Cayolle (2326 m). Auf der anderen Seite fuhren wir entlang grau-schwarzer Bergrücken, die uns an Lavalandschaften auf Island oder La Réunion erinnerten, gefolgt von der Daluis-Schlucht (Gorges de Daluis) mit ihren steilen, roten Felswänden. Als wir uns dem Ort Entrevaux mit seinen auf Vauban zurückgehenden Befestigungsanlagen näherten, entschlossen wir uns zu einer Stadtbesichtigung. Als Highlight stellte sich das kleine, aber feine Motorradmuseum heraus, in dem ein passionierter Sammler seine voll funktionstüchtigen Schmuckstücke auf zwei Etagen ausstellt. Weiter ging’s – und plötzlich Stau! Ralf bemerkte, dass unsere Tour wenige 100 m weiter abzweigen sollte, und fuhr dreist auf der Gegenspur am Stau vorbei. 🙂 Eine weitere Schlucht schloss sich an, die ebenfalls imposanten Gorges du Cians. Ein letzter Pass hinter Beuil, bevor es auf enger Straße hinab nach Saint-Sauveur-sur-Tinée ging. Doch oh Schreck, plötzlich ein Bus im Gegenverkehr. Per Rückwärtsgang ging’s dutzende Meter bergauf, bevor das Ungetüm uns passieren konnten. Nun aber nichts wie nach Hause in unser Feriendomizil!
Tag 5 – Monte dell’Aver & Colle dei Morti. Da es uns so gut gefallen hatte, machten wir uns noch einmal nach Italien auf und fuhren zum Col de la Lombarde. Ca. 2,5 km hinter der Grenze lag ein kleiner Parkplatz am Straßenrand, von dem eine Rundwanderung über zwei Pässe ausgeht. Ein angenehm zu gehender Pfad zog sich ins Tal hinein und dann hinauf auf eine erste Anhöhe, an der uns ein Wanderpärchen entgegen kam. Dieses berichtete uns, dass sich der Weg unterhalb des Passes verliert und sie eine Rinne hinaufgekraxelt waren, an deren oberen Ende es aber nicht weiterging. Nun, wir waren also gewarnt! Tatsächlich stand unterhalb der Rinne ein irreführendes Steinmännchen, aber Dank Komootine und wacher Augen sahen wir, dass sich der Weg weiter rechts zum Pass hinaufzog. Etwas Kraxelei und Trittsicherheit gehörten dazu, aber wir kamen frohen Mutes auf der Passhöhe, dem Colle Aver, an. Die ersten 350 Höhenmeter waren geschafft. Ein malerischer Anblick lag vor uns; unter uns der Lago d’Aver soprano. An diesem angekommen kam uns ein weiteres Pärchen entgegen – Vater & Tochter oder ein Liebespärchen? – plus Hund. Wir baten die zwei um ein Foto von uns beiden. 🙂 Danach ging es eine weitere Felsstufe hinab zum Lago d’Aver sottano, an dem wir die erste Türkenbundlilie unseres Urlaubs sahen. Nun lag der Aufstieg zum zweiten Pass vor uns, dem Colle dei Morti – zu deutsch « Pass des Todes ». 😮 Was würde uns erwarten? Weiche Knie? Schwindelanfälle? Nichts dergleichen, stattdessen zwei Rudel Gämsen (die Älteren unter uns kennen die Tiere noch als Gemsen 😉 )! Dann ein Regenschauer, den wir unter dem Blätterdach eines Baumes abwarteten. Oben am Pass fanden wir einen windgeschützten Picknickplatz. Es dauerte nicht lange, bis es erneut Regen gab, der schnell in Hagel überging. Der Wind fegte von vorn über den Pass und uns blieb nichts weiter übrig, als rückwärts vom Pass abzusteigen, um den piksenden Hagelkörnern keine Angriffsfläche zu bieten. Ein neue Wandererfahrung! 🙂 Doch bald legte sich die Wetterunbill und auf einem schönen Pfad, beäugt von Murmeltieren, ging es zurück zum Auto.
Tag 6 – Vom Col de la Moutière zur Cime de la Blanche. Unser letzter Tag im Tal der Tinée führte uns nochmal hinauf zum Col de la Moutière (2454 m), von wo aus wir schon am Tag 3 zu einer Tour gestartet waren. Diesmal ging es in die andere Richtung, wo wir für knapp 7 km dem GR56 folgten. Ein herrlicher Höhenweg, der über den Col de Colombart (2539 m) und den Col de l’Alpe (2590 m) zur Cime de la Blanche (2534 m) führt. Schneereste und schneebepuderte Gipfel zeugten von den kühleren Temperaturen des letzten Tages. Zu Beginn des Rückwegs trafen wir auf eine Wandergruppe, die auf der Tour de l’Ubaye, einem 154 km-Rundweg, wanderten. Sie waren den vierten Tag ihrer 10 Tage-Tour unterwegs. Außerdem sahen wir wiederum vereinzelt Gämsen und natürlich die obligatorischen Murmeltiere… 🙂
Auf der Anfahrt hatten wir bemerkt, wie schon die zwei Tage zuvor, dass der Col de la Bonette gesperrt zu sein schien. In der Tat beobachteten wir, dass keine Autos die Passstraße hinauffuhren. Am Abend erfuhren wir von unserem Vermieter, dass es auf der Stecke aufgrund eines unglücklichen Steinschlags zu einem tödlichem Motorradunfall gekommen war. Vorsorglich plante Ralf eine Ausweichroute, falls die Straße tags darauf noch immer gesperrt sein sollte, denn unsere Fahrt zum zweiten Feriendomizil sollte uns eigentlich ein weiteres Mal zum Col de la Bonette führen.