Winterreise in die Normandie

Zweimal schon waren wir in der Nebensaison an der französischen Atlantikküste. Beide Male verschlug es uns auf eine Insel, die allerdings per Brücke befahren werden konnten. Zwar stehen noch mehrere Inseln auf unserer Wunschliste, doch diese sind alle nur per Fähre erreichbar. So überlegten wir, wo wir denn sonst so an eine uns unbekannte Küste fahren könnten, und wir erinnerten uns an Étretat in der Normandie mit seiner beeindruckenden Steilküste. Also machten wir uns Anfang Februar auf den Weg gen Norden…

Tag 1: Wandern entlang der Alabasterküste.
Die Wettervorhersage fiel recht bescheiden aus und angeblich sollte lediglich der erste Tag frei von Niederschlägen bleiben. Also widmeten wir diesen Tag der längsten und wohl auch schönsten Tour, die ich im Vorfeld geplant hatte. Nachdem wir das Frühstück mit frischem Baguette vom ortsansässigen Bäcker verspeist hatten, machten wir uns auf den Weg nach Le Tilleul, wo uns ein kostenloser Wanderparkplatz erwartete. Zunächst liefen wir durch ein Waldstück, in dem wir zwei Rehe erspähten, bevor die Tour über offenes Gelände in Richtung Meer mit seinem Leuchtturm, dem Phare d’Antifer, führte. Dort angelangt, folgten wir dem Pfad entlang der Kante der Steilküste und genossen die weite Sicht übers Meer mit seinen vielfältigen Blautönen. Nach einer Weile gelangten wir an eine Treppe, die hinab zum Strand führte. Birgit war nicht zu halten… und ich marschierte hinterher. Eine sich am Strand abzeichnende Figur aus Steinen erinnerte an die Szene in einem Kriminalfilm. Wir ließen es uns nicht nehmen und verzierten die Figur, so dass sie nicht mehr gar so unheimlich aussah. 🙂 Wir lauschten der Brandung und ließen unsere Blicke über die unzähligen Steine schweifen. Später lernten wir, dass es verboten ist, Steine zu sammeln, da sie als Schutz vor den gefräßigen Wellen dienen.
Bald setzten wir den Weg fort, der uns abermals am oberen Rand der Steilküste entlang führte. Nach einem weiteren Kilometer ging es erneut hinab zum Strand, dem wir bis zu einem Felsdurchbruch in Form eines Schlüssellochs folgten. Von dort sahen wir zum ersten Mal das große Felsentor von Étretat, die Falaise La Manneporte. Wir bestaunten die Felsen mit ihren waagerechten Streifen und sonstigen Mustern – Zeugen der Erosion. Erneut mussten wir die Steilküste erklimmen und gelangten nun auf einen Abschnitt, der nicht mehr ganz so einsam war wie zuvor. Je näher wir Étretat kamen, desto mehr Ausflügler begegneten uns. Von der Pointe de la Courtine mit ihrem sog. Hexenloch (Le trou de la sorcière), auch als Auge des Pandas (L’oeil du Panda) bekannt, bot sich uns erneut ein herrlicher Blick übers Meer und die Manneporte-Klippe. Auf dieser angelangt, erspähten wir schließlich das Wahrzeiten von Étretat, das Aval-Tor (Porte d’Aval) und die Nadel (Aiguille) von Étretat. Bald kamen wir auch dort an und vor uns zeigte sich der steinerne Strand von Étretat. Da uns noch Zeit blieb, stiegen wir hinab zum Strand. An zwei drei Stellen waren Informationstafeln aufgestellt, auf denen man sehen konnte, wie Claude Monet die Landschaft ins Bild gesetzt hat. Im Ort war besonders die Markthalle sehenswert, die zu Kriegszeiten als Lazarett gedient hatte. Im Hinterland ging es zurück zum Parkplatz, wobei uns der Weg an einem Taubenturm vorbeiführte. Auf einer leichten Erhebung, dem ehemaligen Mühlberg von Tilleul, machten wir kurz Rast und erfuhren vom Schicksal der Windmühlen, die vor ca. 100 Jahren aus der Landschaft verschwanden…

Tag 2: Regenwetter.
Wie verhergesagt erwachte der Tag in trübem Licht. Wir beschlossen, am Vormittag in Ortsnähe zu spazieren und zum Mittagessen in eine Crêperie in Yport zu fahren und dort anschließend an der Küste entlangzuwandern. Am Ende kam es anders, aber der Reihe nach. Von unserer geräumigen und gemütlichen Ferienwohnung aus liefen wir zum Steilküste von Saint-Jouin-Bruneval, von wo sich ein Blick auf den Hochseehafen von Saint-Jouin-Bruneval bietet. Dieses imposante Bauwerk wurde in den 1970er Jahren zum Anlegen von Supertankern gebaut, für die der Hafen von Le Havre zu klein war. Damals war der Suezkanal wegen der Spannungen im Nahen Osten geschlossen und Öltanker mussten um das Kap der Guten Hoffnung fahren. Als Reaktion darauf wurden größere Tanker in Betrieb genommen, um die höheren Kosten der viel längeren Route zu kompensieren. Die zeitliche Abfolge erwies sich jedoch als ungünstig, denn im Jahre der Eröffnung des Hafens von Saint-Jouin-Bruneval wurde der Suezkanal, der für die neuen Supertanker grundsätzlich nicht passierbar war, wieder geöffnet…
Zurück im Ort kamen wir an der Kirche und dem verfallenen Schloss vorbei. Zwar nieselte es, doch der Tag war noch jung und so liefen wir abermals zur Küste, um uns das Restaurant Le Belvédère anzuschauen, in dem wir für den letzten Abend zu dinnieren planten. Auf den Informationstafeln neben dem Restaurant lernten wir noch mehr über den Bau und Betrieb des Hochseehafen. So mussten sich die Supertanker bereits 48 Stunden vor Ankunft beim Hafen anmelden, um das Anlegen und Löschen der Fracht vorzubereiten. Von unserem Vermieter erfuhren wir, dass noch immer ca. alle zwei Wochen ein Hochseeschiff den Hafen anläuft.

Zur Tagesmitte fuhren wir nach Yport. Die auserwählte Crêperie hatte jedoch leider geschlossen. Gut, dass wir auf der Anfahrt durchs Dorf ein Restaurant mit Gästen darin gesehen hatten. Wir wollten unser Glück versuchen. Allerdings sah es drinnen recht schick aus mit weißen Tischdecken und Weingläsern auf den Tischen. Und wir in Wanderklamotten. Aber wir wurden sehr zuvorkommend im Restaurant Normand bedient und das 3-Gänge-Menü ließ nichts zu wünschen übrig. 🙂 Gut gestärkt erklommen wir die westlich gelegene Steilküste. Der Weg war steil und matschig. Hoffentlich müssen wir hier nicht auch wieder runter. Doch so sollte es kommen, denn der Weg war aufgrund des langanhaltenden kräftigen Regens unpassierbar, es sei denn, man marschiert in Gummistiefeln. Also stiegen wir vorsichtig wieder hinab, erkundeten den Strand und machten uns bald auf den Heimweg. Unterwegs legten wir noch einen kurzen Zwischenhalt am Château de Sissi, einem extravaganten Hotel mit Restauration, ein.

Tag 3: Ausflug nach Honfleur.
Da für den vierten und letzten Tag wieder besseres Wetter vorhergesagt war, den wir daher für eine weitere Küstenwanderung nutzen wollten, schoben wir an Tag 3 einen Stadtausflug ein. Unsere Gastgeber hatten uns einen Ausflug nach Honfleur empfohlen und mit Bildern aus dem Internet auf ihrem Smartphone schmackhaft gemacht. Die Anfahrt mit Umleitung führte uns zunächst in den Hafen von Honfleur mit einem riesigen Kreuzfahrtschiff und der Containerskulptur von 2017, die anlässlich des 500. Hafengeburtstags errichtet worden war. Vor der Überfahrt der Pont de Normandie, der größten Schrägseilbrücke Europas, die die Seinemündung überquert, lasen wir im dortigen Informationszentrum einiges zur Entstehung und technischen Umsetzung dieses ehrgeizigen Bauwerks.
In Honfleur angekommen, schlenderten wir um das alte Hafenbecken und durch die angrenzenden Gassen. Mittagszeit! Und wieder war die von uns anvisierte Crêperie geschlossen. 🙁 Aber gleich um die Ecke hatten wir ein nettes kleines Restaurant, das Bistro des Artistes (Künstler-Bistro), gesehen. Dort saßen wir am Fenster mit Blick über das alte Hafenbecken und verspeisten regionstypische Blutwurst mit Kartoffelbrei. Im Anschluss besichtigten die hölzerne Kirche (die größte Frankreichs!) Église Sainte Catherine. Danach spazierten wir am Ufer der Morelle entlang und entdeckten im Garten der Persönlichkeiten viele uns unbekannte Größen der Region. Zwei jedoch kennen wir sehr gut, den Komponisten Erik Satie (*1866 in Honfleur) und den Maler Claude Monet (*1840 in Paris). Sein Bild Impression, eine Hafenansicht von Le Havre im Sonnenaufgang, gab der gesamten Bewegung ihren Namen. Vorbei am alten Leuchtturm, dem Phare de l’Hôpital, bogen wir in die historische obere Straße, Rue Haute, ein. Dort befindet sich das Geburtshaus von Erik Satie, in dem ein unterhaltsames Museum eingerichtet ist. Wir ließen uns vom verspielten Geist des Komponisten anstecken und fuhren lachend Karussel.
Der Rückweg führte uns an einem Spezialitätengeschäft vorbei, das nun zu allem Überfluss auch geschlossen hatte. Verflixt und zugenäht! Na ja, Geld gespart. Wir folgten weiteren Gassen durch Honfleur und passierten den Jardin du Tripot mit seinen Skulpturen, Wasserspielen und verwinkelten Ecken. Am Auto angekommen, fuhren wir nach Quillebeuf-sur-Seine. Dort setzt eine Autofähre gratis über die Seine. Dieses Schauspiel wollten wir uns nicht entgehen lassen. 🙂 Als wir wieder in unserer Ferienwohnung ankamen, war es draußen bereits stockfinster. So neigte sich ein toller Tag dem Ende engegen.

Tag 4: Die Alabasterküste östlich von Étretat.
Der letzte Tag kündigte sich mit blauen Himmel an. Vom Bäcker gab’s nochmal Baguette und diesmal auch Brioche. 🙂 Heute wollten wir an der östlich von Étretat gelegenen Steilküste wandern. Wir fuhren nach Bénouville, von wo ein Rundwanderweg in Richtung Étretat startet. Wir liefen auf die Küste zu und folgten dem Weg des Zöllners (Chemin des Douaniers) westwärts. In der Ferne drehten sich die Räder eines Offshore-Windparks. Bald erblickten wir eine weiße Nadel aus Kreide im Meer, die Aiguille de Belval. Wenig später erreichten wir die Klippe La Falaise d’Amont, vor der ein Felsen, der Roc Vaudieu, aus den Wasser ragt. Wir stiegen die Stufen bis zum Wasser hinab und entdeckten einen Stollen, der durch den Felsen auf die andere Seite der Klippe führt. Einige Wagemutige verschwanden vor uns im Tunnel. Sollten wir es auch wagen? Gesagt getan. Bald standen wir auf der anderen Seite und Étretat lag nicht mehr fern. Verbotenerweise (wobei wir im Nachhinein die verschiedenen Grade von Verboten gegeneinander abwägten) liefen wir unterhalb der Steilküste bis zum Ort, wo uns eine Treppe wieder nach oben zur Kapelle Notre-Dame-de-la-Garde führte. Gleich daneben befindet sich das Denkmal zu Ehren der beiden Piloten Charles Nungesser und François Coli, die im Jahr 1927 zum ersten Nonstop-Transatlantikflug aufbrachen. Am 8. Mai druckte die französische Zeitung „La Presse“ voreilig die Meldung eines Rekorderfolgs für den 9. Mai. Doch nachdem das Flugzeug in der Normandie bei Étretat ein letztes Mal gesichtet worden war, blieb es verschollen. 🙁 Der Besuch des Gartens von Étretat sollte der Höhepunkt dieser Wanderung werden. Doch auch dieser hatte bis Mitte Februar geschlossen. Ein großes Schade stand Birgit ins Gesicht geschrieben. Da müssen wir wohl nochmal wiederkommen?!
Auf Anraten unserer Gastgeber wählten wir für den Rückweg erneut den Weg des Zöllners entlang der Steilküste, anstatt dem Rundweg zu folgen. So lief der Film nochmal rückwärts ab. Mittlerweile ragten die Felsen noch etwas weiter aus dem Meer, da es auf Ebbe zuging. Zum krönenden Abschluss speisten wir zum Abend wie geplant im Edelrestaurant Le Belvédère . Lecker, insbesondere der Café gourmand! 🙂

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