Samstag, 17.6.2023
Die Fahrt von Wittenberg nach Cervená verlief komplikationslos. Die letzten Kilometer von Kaspersky Hory führten mitten durch ein Waldgebiet, wo man nicht glauben konnte, dass in dieser Einsamkeit noch Menschen leben. Doch plötzlich tat sich eine Lichtung auf und mehrere Häuser standen vor uns. Und wo ist hier das Haus Nr. 1? Die Numerierung war gefühlt ohne System, aber anhand eines Fotos erkannte Ralf es und wir konnten die sehr geräumige Wohnung beziehen. Der freundliche Vermieter sprach deutsch und war, wie sich später herausstellte, Schweizer, der sein Glück im Böhmerwald gesucht und offensichtlich gefunden hatte. Die Wohnung bot u.a. zwei Terrassen, so dass wir zu jeder Zeit draußen sitzen konnten! Es gab noch drei weitere Ferienwohnungen, aber leider waren Gespräche nur begrenzt möglich, denn außer einem jungen Pärchen sprach niemand englisch oder deutsch; und wir sind der tschechischen Sprache nicht mächtig. Nachdem wir uns etwas eingerichtet hatten, unternahmen wir einen ersten Erkundungsspaziergang und pflückten einen schönen Wiesenblumenstrauß zur Verschönerung.
Sonntag, 18.06.2023
Die erste richtige Wanderung im Böhmerwald begann mit einer kleiner Herausforderung. Diese bestand im Benutzen eines Parkautomaten, ohne im Besitz von Bargeld in Form tschechischer Kronen zu sein. Letztendlich war es gar nicht schwer, denn die Technik war fortgeschritten im Walde. Der Obolus von 100 Kronen konnte kontaklos mit Karte beglichen werden. Das den ganzen Tag bis 21h gültige Ticket verschenkten wir am späten Nachmittag an einen verdutzten Tschechen mit seiner Freundin.
Während der Wanderung kamen wir bald an eine beliebte Einkehrmöglichkeit, der Turnerova Chata (Turnerhütte), wo Ralf ein großes Schokoladeneis verspeiste und ich die einzigen Postkarten in diesem Urlaub kaufte. Immer entlang der Vydra ging es zur Klostermannbrücke. Karel Klostermann begegnete uns beinahe täglich und ich hielt ihn für eine Art Haldor Laxness des Böhmerwaldes. Jedoch stellte ich beim Nachlesen fest, dass sie in unterschiedlichen Epochen lebten.
Nach dem Überqueren der Brücke ging es auf einem Single Trail stetig bergan bis zu mehreren, einsamen Häuschen. An einem der Holzhäuser arbeitete ein brummiger Mann, der uns keines Blickes würdigte. Kurz nach seinem privaten, sehr einladenden Rastplatz entdeckten wir einen rustikalen Platz zum Innehalten und Picknicken für jedermann. Eine Blumenwiese sowie kräftige Lupinen verzückten uns ebenso wie die Dekoration an weiteren einzelnen Gehöften.
Schließlich traten wir auf eine Straße und kamen in Srni an. Dies ist eine kleinere Ortschaft mit Hotel, Kirche, einer Touristeninfo, einem Konzum, mehreren Restaurants, einer Bushaltestelle sowie einer Schule, an deren Zaun eine Kinderzeichnungausstellung zu bewundern war. Auf einer Bank vor der Kirche machten wir eine längere Pause und bestaunten die zahlreichen Motorradfahrerschwärme, die für eine Zigarettenlänge anhielten oder durch den Ort brausten!
Über Waldwege und auch am Straßenrand liefen wir im Sonnenschein zum Ausgangspunkt am Wasserwerk zurück. Abends gab es Pizza mit Rotwein auf einer der beiden hölzernen Terrassen unseres Ferienhauses.
Montag, 19.06.2023
Die Tour des zweiten Tages sollte uns zum Goldenen Steig führen und versprach viel Natur mit Bachgeplätscher. 🙂 Schnell waren wir am Ausgangspunkt unserer Wanderung und stellten unser Auto unweit der Penzion Horska Kvilda ab. Auf der Landkarte beschrieb die heutige Tour die Form eines gleichseitigen Dreiecks. Erst folgten wir ein kurzes Stück der Landstraße, bevor wir auf bequemen Weg durch Wald und Flur marschierten. In der Landschaft verstreut fanden sich Erdwälle bzw. flache Haufen, Seifen genannt, wobei es sich um Reste mittelalterlicher Halden handelt, als in der Gegend Goldwäsche betrieben wurde. Da wir auf ca. 1200 Höhe unterwegs waren, erschienen uns die sommerlichen Temperaturen nicht gar so heiß. Zudem liefen wir über weite Strecken durch waldiges Gelände und konnten den Schatten genießen. Auf die erste Ecke des Dreiecks stießen wir in Filipova Huť mit seinen gemütlichen Bauernhäusern. Wegweiser für Loipen ließen uns von winterlichem Schneeschuhvergnügen träumen…
Die zweite Seite des Dreiecks zog sich durch Fichtenhochwald – gut, dass dieser etwas eintönige Abschnitt leicht bergab verlief. Am Ende kamen wir zum Hammerbach. Dort konnten wir an einem bequemen Picknickplätzchen verschnaufen. Es folgte die dritte Seite des Dreiecks, die sich sanft entlang des sprudelnden Hammerbachs bergauf zog. Immer wieder erfreuten wir uns am Geplätscher des Baches und den vielen Blumen am Wegesrand. Zum Ende hin stießen wir sogar auf eine Biberburg, doch die Baumeister waren nicht auszumachen. Den Endspurt zum Auto am letzten Anstieg gewann Birgit deutlich! Ja ja, die Jugend. 😉
Dienstag, 20.06.2023
Das sollte ein ziemlich heißer Tag werden! Sowohl von den Temperaturen (bis 31°C) als auch von den Anforderungen der Tour her. Bereits der erste Aufstieg vom bequemen, kostenlosen Parkplatz in der Ortsmitte von Hartmanice bis hinauf zum Wald empfanden wir als extrem anstrengend! Lag es an der Asphaltstraße? Der Wärme? An unseren Erkältungen, die bei mir am Abklingen und bei Ralf am Ausbrechen waren? Egal, wir pausierten erstmal an den Klanghölzern und genossen die Kühle sowie die wunderschönen Vogelgesänge im Walde.
Bald kam eine rustikale Kapelle mit Metallhaube sowie ein gut gepflegtes Anwesen mit eigenem Hubschrauberlandeplatz, See und Badestelle in Sicht. War dies ein Erholungsheim für wichtige Personen? Ein geheimer Konferenzplatz? Wer weiß? Wir wanderten weiter auf dem Gunthersteig bis zum Restaurant Rovina. Am liebsten hätten wir uns nach dem kraftraubenden Weg auf eine der Bänke an einen Tisch gesetzt und ein tschechisches Bier getrunken, Knödel und Gulasch verspeist … aber unser Ziel, die Guntherkapelle am Fuße des Guntherfelsen war noch lange nicht erreicht. Bewundernd nahmen wir eine Ladestation für Elektrofahrräder zur Kenntnis! Radeln ist im Böhmerwald ebenfalls sehr angesagt und es gibt etliche gut ausgebaute Fahrradtrassen.
Picknick gab es für uns schließlich auf dem Plateau des Guntherfelsen. Eigentlich sollten wir von hier einen guten Rundumblick auf den Böhmerwald haben. Jedoch waren die Bäume inzwischen so hoch hinauf geschossen, dass wir nur Grün sahen. 🙂
Nach der Stärkung ging es hinab nach Dobra Voda – Gutes Wasser. Die Legende besagt, dass eine blinde Kuh aus der Quelle trank und wieder sehend wurde. Noch heute kann man das Heilwasser genießen, sogar in Flaschen füllen und hoffen, dass durch das Trinken ein Wunder geschieht! In der Kirche von Dobra Voda gab es Besonderheiten zu bewundern: einen Glasaltar und den Kreuzweg ganz aus Glas gefertigt. Über Lupinenwiesen und einen Lehrpfad gelangten wir zurück nach Hartmanice und waren geschafft. In einem winzigen Laden kauften wir einige Lebensmittel nach und konnten auch hier die Rechnung bargeldlos begleichen!
Am Abend gab es ein Linsengericht und Pivo, das hatten wir uns redlich verdient!
Mittwoch, 21.06.2023
Der Sommeranfang im Böhmerwald begann mit Sonnenschein und moderaten Temperaturen. Auf der Fahrt durch den Wald begegneten wir drei recht großen Waldhasen! Der Parkautomat in Srní bot diesmal keine Kartenzahlung an, so daß Ralf in der Tankstelle, die sich glücklicherweise nebenan befand, Euro in Kronen umtauschte, um bezahlen zu können. Wir querten den Ort und kamen schon bald auf einen von Birken gesäumten Wanderweg. Immer wieder blieben wir stehen und genossen den Blick über den Böhmerwald. Leider sahen wir auch hier etliche Zonen mit abgestorbenen Fichten, was schon bedenklich wirkte. Wir kreuzten Radwege und wanderten am ehemaligen Schwemmkanal entlang. Lange saßen wir im Schatten auf einer Bank, lauschten den Gesängen der Vögel und ließen die Gedanken schweifen. Bald kam ein kleiner Aufstieg, der zur sog. Klostermannbank führte. Auf der urigen Bank machten wir eine ausgiebige Picknickpause, bis es auf weichen Waldwegen zurück ins Tal ging. Wir kamen gerade an einem Wasserkraftwerk mit Staubecken vorbei, als tiefhängende, graue Wolken zu drohen begannen. Obwohl wir nur noch ca. einen Kilometer vom Parkplatz entfernt waren, erwischte uns das Unwetter mit Sturm und Platzregen voll. Trotz Regenkleidung kamen wir völlig durchnäßt am Auto an und warteten noch eine ganze Weile ab, bevor wir uns auf die Heimfahrt begaben. Immer wieder stockte der Verkehr, weil die Feuerwehr umgestürzte Bäume beräumen musste und die Straßen vom Schlamm in Rutschbahnen verwandelt worden waren. Kurz vor Cervená legten wir selbst noch Hand an und zogen Äste von der Zufahrt zum Ort. Mit heißer Dusche und Tee wärmten wir uns auf und waren foh, heil davongekommen zu sein.
Donnerstag, 22.06.2023
Die heutige Tour kam mit der kürzesten Anfahrt aus und beschrieb die Form eines Quadrates. Das Auto konnten wir kostenlos im Ort Rejstejn unterhalb der Kirche parken. Wie schön, dass das Auto am Abend im Schatten stand. 🙂
Die erste Seite des gedachten Quadrats fiel mit dem Fluss Otava zusammen. Schnell ließen wir den Ort hinter uns, wobei wir die Jugendstilvilla eines ehemaligen Fabrikanten passierten. Auch stand ein eher untypischen Haus am Wegesrand. Ob es wohl den Belgiern gehörte, die uns im Auto entgegenkamen? Zur ersten Ecke unseres Quadrates mussten wir ein Stück durch den Wald bergauf kraxeln. Dort stießen wir auf die historische, unter Denkmalschutz stehende Kirche St. Maurenzen. St. Maurenzen ist eine der ältesten Kirchen im Böhmerwald. Ihre Ursprünge gehen vermutlich auf den hl. Gunther zurück, der wenige Kilometer westlich am Gunthersberg als Einsiedler lebte. Auf dem dazugehörigen Friedhof lasen wir viele viele deutsche Namen. Offenbar wurden selbst in den letzten Jahren noch Deutsche dort beigesetzt. Ob es sich dabei um ehemals Vertriebene handelt, die in alter heimatlicher Erde ihre letzte Ruhestätte finden wollten? Ein Förderkreis setzt sich für die Erhaltung von St. Maurenzen ein. Ein gruseliger Anblick bot sich beim Blick in das daneben stehende Beinhaus, in dem sich die Gebeine früherer Verstorbener fanden. Vor dem kirchlichen Areal befand sich eine Skulptur, die als Opferschrein dient. Ich kam nicht umhin, eine Münze dazuzulegen und mir etwas zu wünschen.
Es folgte die zweite Seite des Quadrats, vorbei an einem Schwedengrab aus dem 30-jährigen Krieg und dem Gutshof von Palvinov, bei dem wir auf Zeugen des vergangenen Unwetters trafen. An der Ecke des Quadrats in Kundratice fanden wir ein geschlossenes Gasthaus mit Picknickbänken, auf die wir uns gern niederließen, um unseren Proviant zu genießen. Gestärkt ging es weiter, wobei sich ein verschlafenes Örtchen ans andere reihte. Kurz nach der großen Kurve (« Kurva Grande ») fanden wir Erfrischung an einem Rastplatz mit Bach und Bechern. Nun begannen wir, der vierten Seite unseres Quadrats zu folgen. In einem Waldstück versteckt stießen wir auf einen geheimnisvollen Rapunzelturm mit Fernrohr. Wir rätselten, ob es sich dabei um einen Kalkbrennofen handelte, wie wir sie schon in den Bergen nördlich vom Montpellier gefunden hatten. Nochmals nahmen wir einen Schluck aus unseren Trinkflaschen und machten uns ans letzte Wegstück steil hinab nach Rejstejn und zurück zu unserem Auto. Im Feriendomizil wartete ein erfrischendes Staropramen mit wenig Alkolhol auf uns… 🙂
Freitag, 23.6.2023
Neue Unwetter waren in der Nacht niedergegangen und die Temperatur stürzte von 25°C auf 15°C. Als wir erwachten, regnete es, und so blieben wir erst einmal im Ferienhaus. Ralf befasste sich mit der Fahrt nach Italien in die Brenta, ich bereitete den Einkaufszettel für unterwegs vor und begann zu packen. In dem geräumigen Haus hatten wir uns ganz schön ausgebreitet!
Am späten Vormittag schien sich der Himmel aufzuhellen und wir beschlossen, nach Modrava zu fahren und die letzte geplante Wanderung zu unternehmen. Bei der Ankunft dort regnete es heftig, was uns zunächst davon abhielt, loszumarschieren. Schließlich wurde es etwas heller. Nachdem das Parkticket, heute für 70 Kronen, bezahlt war, präparierten wir uns wetterfest. Die Luft war klar und der Weg wunderschön! Grün, grüner, am grünsten – die Natur so üppig und reingewaschen, dass es eine Augenweide war. Dank unserer guten Ausrüstung machten uns die Regenschauer gar nichts aus. Noch einmal ging es am Schwemmkanal entlang, der hier gut ausgebaut und mit Wasser schwarz wie Teer, Erdöl oder Braunbier gut gefüllt dahin floss. An einer Stelle lagen Floße im Gras und wir spintisierten ein bißchen herum. An der Rachelbrücke, wo der von Joseph Rosenbauer entworfene Kanal von der Vydra abgezweigt wurde, machten wir einigermaßen trocken Rast unter Bäumen. Vor der Planung eines Kanals wollte ein Holztransportunternehmer die Vydra mittels Sprengung der Steine und Felsen sozusagen aufräumen! Zum Glück wurde das vom Baumeister Rosenbauer verhindert!
Nach der Pause kraxelten und spazierten wir über Stock und Stein auf einem schmalen Uferpfad zurück nach Modrava. Wir ließen uns viel Zeit, denn wir konnten uns einfach nicht satt sehen an der herrlichen Umgebung! Am Ende belohnten wir uns mit Käsekuchen und Kaffee in einem modernen Café im Urlauberort Modrava für unsere Courage! Trotz des Regens war dies eine sehr schöne Abschlußwanderung im Böhmerwald, den wir sicher nicht zum letzten Mal besucht haben.