Dolomiten-Höhenweg Nr. 1

Dolomiten-Höhenweg Nr. 1 – Vom Pragser Wildsee nach Belluno
Der Dolomiten-Höhenweg Nr. 1 wird auch als der klassische Weg bezeichnet, da er der älteste der 10 Routen zur Durchquerung der Dolomiten ist. Auf Italienisch ist der Weg als Alta Via delle Dolomiti numero Uno bekannt. Er führt vom Pragser Wildsee nach Belluno und orientiert sich dabei an den Hauptkämmen der östlichen Dolomitengruppen gen Süden. Dabei durchquert der Weg die Pragser Dolomiten, die Fanesgruppe, Nuvolao, Croda da Lago, Rochetta, Pelmo, Civetta, Moiazza, die Prampèr-Dolomiten und Schiara. Das Höhenprofil der Wanderung liegt zwischen 1500 und 2800 Metern, wobei die durchschnittliche Tourenhöhe bei 2000 Metern liegt (ca. 6500 Höhenmeter Auf- und Abstieg). Von allen Weitwanderwegen der Dolomiten ist der Höhenweg Nr. 1 wohl mit der leichteste, aber auch einer der längeren. 150 Kilometer führen vom Pragser Wildsee nach Belluno, wofür wir 12 Etappen benötigten.

1. Etappe: Vom Pragser Wildsee zur Seekofelhütte
Der Pragser Wildsee war der Ausgangspunkt unserer Wanderung auf dem Höhenweg Nr. 1 in den Dolomiten, den wir gemeinsam mit Jens und Annegret aus Halle/S. in zwölf Etappen bewältigten. Ausgerüstet mit Wanderkarten, Wegbeschreibung, divers gepackten Rucksäcken und einer großen Portion Neugier machten wir vier uns am 30. August 2007 auf den Weg.
Nebelschwaden lagen auf den Bergen, die wie ein unwirkliches Zeugnis der Natur hoch vor uns emporragten. Werbeplakat? Wirklichkeit? Schon bald wurden wir von der tatsächlichen Präsenz der Höhen überzeugt. Die Sonne spiegelte sich zaghaft im See und verzog sich später ganz und gar hinter dicken Regenwolken. Deren Ergüsse ließen uns die Regenkleidung, übrigens das einzige Mal auf der ganzen Tour, bald nach Beginn des Abenteuers anlegen.
Von 1500 Meter stiegen wir auf 2437 Meter Höhe empor über geröllige Pfade, feuchte Wiesen, über eine kurze, kantige, durch den Regen recht rutschige Kletterpassage und vorbei an kleinen Weihern. Nach 4,5 Stunden tauchte aus dem regenverschleierten Nichts ein Schild mit der Aufschrift Seekofelhütte 5 min auf. Nach den 900 bewältigten Höhenmetern war das die beste Aufmunterung für uns. Wir erreichten tropfnass und glücklich unser erstes Etappenziel!
Ein Schlafplatz war bereits vor Antritt der Reise reserviert und wir bezogen für eine Nacht eine Kammer mit zwei Doppelstockbetten, Platz für Rucksäcke und etwas Kleidung sowie einem Fensterchen. Von diesem aus erblickten wir am nächsten Tag nicht nur den gigantischen Seekofel, sondern auch die Sonne.
Nachdem alles verstaut war, genossen wir heiße Schokolade, Cappuccino, Linzer Torte und Apfelstrudel. Zum Abendbrot machten wir erste Bekanntschaft mit Polenta und verschiedenen Beilagen.
Im einzigen Waschraum für männliche und weibliche Wanderer mit fließend kaltem Quellwasser erfrischten wir uns ausgiebig am Abend und ganz kurz (wegen der zahlreichen Mitwanderer) am Morgen.

2. Etappe: Vom Seekofel zur Faneshütte
Frühes Wecken um 6.30 Uhr, dichtes Gedränge und daraus resultierende « Katzenwäsche » am Morgen des zweiten Wandertages im Waschraum der Seekofelhütte erlaubte uns – nach gutem Frühstück mit Müsli, zwei Sorten Brot und unbegrenztem Kaffeegenuß – frohen Mutes zur zweiten Etappe starten. Der Regen hatte sich verzogen, die Sonne strahlte den ganzen Tag.
Nach ca. zwei Stunden Wanderung legten wir eine Pause auf einer Bank zwischen Murmeltieren, Kühen und rustikalen Holzhäusern ein. Wir stärkten uns an unserem mitgebrachten Proviant, bevor ein anstrengender Abstieg begann.
Immerhin 800 Meter hinab ging es über eine ausgebaute und mäßig frequentierte Fahrstraße bis zu unserem Zwischenziel – der Pederühütte. Dank der Wanderstöcke und bedächtiger Schrittfolge blieben wir von stärkeren Gelenkschmerzen verschont. Auf der Sonnenterrasse der im tiefen Rautal gelegenen Hütte löffelten wir genüßlich, den nächsten Anstieg vor Augen, Knödel- und Gemüsesuppe sowie frischen Obstsalat. Jeweils ein großes Glas Radler löschte den schon jetzt beträchtlichen Durst.
Von 1548 Meter Höhe auf 2060 Meter Höhe stiegen wir nun stetig, zunächst auf Serpentinenwegen, dann durch ein Kieferwäldchen und steinige Landschaften, unterbrochen durch zahlreiche Trinkpausen wegen der zunehmenden Wärme, hinauf. Bald kamen uns Wanderer mit leichtem oder ohne Gepäck entgegen und wir erahnten die Nähe unseres Etappenziels. Unser sehnlichster Wunsch nach einer warmen Dusche wurde, nach nochmaligem Hinziehen des Weges an mehreren Hütten vorbei, nach der Ankunft gegen 16.00 Uhr erfüllt. In der privat geführten Hütte erhielten wir zwei 2-Bett-Zimmer. Nach ausgiebiger Körperpflege mit warmem Wasser ohne Ende fühlten wir uns wie neu geboren und hatten noch Elan für Schuhpflege und einen Abendspaziergang, bevor es zum Abendessen à la carte ging.
Wir wählten Rehgulasch mit Röstkartoffeln und Salat mit Truthahnstreifen. Ein exzellentes Tiramisu vervollkommnete mit einem Glas Rotwein das Menü.
Nach dem Essen diskutierten wir den weiteren Verlauf der Wanderroute und schliefen seelig in bequemen Betten, die wir in den nächsten Tagen manches Mal vermissen würden.

3. Etappe: Von der Faneshütte zur Schutzhütte Lagazuoi
Strahlend blauer Himmel, die Weckzeit 7.00 Uhr und ein Frühstück mit Müsli, Kaffee, Weißbrot und Marmelade ließen uns den Tag gemächlich angehen. Keiner von uns ahnte zu diesem Zeitpunkt so genau, welche Herausforderungen auf uns warteten.
Von der Faneshütte ging es gleich steil aufwärts zum Limo-Pass, wonach wir die wunderschönen Wiesen der Fanesalm mit sömmernden Pferden, munterem Bach und pfeifenden Murmeltieren durchschritten. Je weiter wir durch die Landschaft wanderten, desto näher kam ein gewaltiger Bergzug, auf dessen Schutthalden wir einen winzigen Pfad ausmachten. Vor Ehrfurcht legten wir an seinem Fuße eine kleine Stärkungspause ein und begannen danach – jeder in seinem Rhythmus – den schwierigen Aufstieg zur Forcella del Lago in 2480 Meter Höhe. Belohnt wurden wir mit herrlichen Blicken über die unbeschreiblich schöne Bergwelt: In der Ferne die Marmolada mit ihren Gletschern, ringsum riesige Felsmassive, bizarr geformt.
Nach gut zwei Stunden erreichten wir den höchsten Punkt der Seescharte und machten ein kurzes Picknick zwischen dem Torre del Lago und der Cima Scotoni. Die Aussicht in das nächste Tal konnte Schwindel erregen, besonders, weil man noch keine weitere Wegführung erkannte. Wie klein war ein Mensch zwischen all dem Gestein!
Wer sollte vorangehen? Nacheinander lösten wir uns vom Berg und atmeten auf ob des gut gesicherten Steiges auf der anderen Seite der Forcella. In sanften Serpentinen verloren wir an Höhe und querten oberhalb des Lagazuoi-Sees wieder eine der vielen natürlichen Schutthalden, die dieses Mal mit Glockenblümchen geschmückt war.
Ganz in der Ferne – für uns fast nicht vorstellbar, sie heute noch zu erreichen – lag die Schutzhütte Lagazuoi auf einem Felsgipfel. Der zweite kräftige Anstieg des Tages, immerhin 500 Höhenmeter am Stück, verlangte die Mobilisation sämtlicher physischer Kräfte und wurde durch einsetzenden, heftigen, kalten Wind erschwert. Mehrmals zogen wir uns um. Wir stiegen und stiegen, doch die Hütte schien kaum näher zu kommen. Trinkpausen, Verschnaufpausen, Fotopausen, letzte Reserven in Form getrockneter Aprikosen halfen uns, gegen 17.00 Uhr am Ziel einzutreffen. Wir waren sehr erschöpft und munterten uns zunächst mit heißer Schokolade, später mit einer warmen 3-Minuten-Dusche auf. Mit weiteren acht Wanderern lagerten wir in einem großen Schlafraum mit Doppelstockbetten und Tisch. Im Flur gab es Gelegenheiten zum Trocknen von Wäsche und Schuhen.
Das abendliche Menü war mit Pasta (primo), Schweinebraten, Kartoffeln, Zucchinigemüse (secondo) und Vanillepudding mit Karamelsoße (dolce) eines der üppigsten und schmackhaftesten der Tour.

4. Etappe: Von der Lagazuoihütte zur Nuvolao-Hütte
Ein üppiges Frühstück mit Orangensaft, gekochten Eiern, Rührkuchen und Käse verwöhnte unsere Gaumen an diesem wieder mit Sonne beginnenden Tag. Nach der Morgenmahlzeit kletterten wir auf den kleinen Lagazuoigipfel. Unsere Augen konnten kaum das ganze Ausmaß der Ansichten fassen: Sellagruppe, Fanesgruppe, die Marmolada u.v.m.
Entsprechend der Empfehlung im Wanderführer fuhren wir mit der Seilbahn hinab und damit ein Stück zurück in die Zivilisation. Die Geräusche der Motorräder und Autos waren uns schon ganz fremd geworden. Seltsam muteten uns die in Kostümen von Soldaten, Offizieren und Krankenschwestern des 1.Weltkriegs gekleideten Menschen am Falzaregopass an. Später hörten wir sogar noch Kanonendonner und erfuhren von anderen Wanderern, dass es eine Touristenattraktion sei, die am Kriegsschauplatz demonstriert wird. Bei dem Gedanken war uns nicht recht wohl und es bleibt Ansichtssache, was von solch einer Veranstaltung zu halten ist. Unsere Suche nach einem Bäcker o. ä. zum Auffüllen der Vorräte blieb leider erfolglos. Wir hatten gehofft, an der Passstraße etwas nachkaufen zu können, denn auf den Hütten gab es keine offiziellen Gelegenheiten dazu. Die Picknickversorgung war auch im weiteren Verlauf der Wanderung sehr schwierig, so dass die Mitnahme von möglichst ausreichenden Mengen ratsam ist.
Der erste Anstieg war gemächlich und wurde durch kleine Klettereien in den Felsscharten interessant gehalten. Ein Schotterweg führte geradewegs zur Averauhütte, die wie gerufen für eine kräftige Mittagsmahlzeit auf der Strecke lag. Ein eingespieltes Team bediente uns flink und machte uns auch die Proseccotorte des Hauses schmackhaft. Trotz vieler Sonntagsausflügler blieben die Lifte ins Tal leer. Es herrschte bereits ein sehr kalter Wind, der sich noch verschärfte und den angekündigten Kälteeinbruch herbeiwehte.
Nach der Mittagspause nahmen wir den steinigen, steilen Anstieg zur ältesten Hütte der Dolomiten in Angriff. Die Nuvolao-Hütte wurde in 2574 Meter Höhe gebaut und es gab kein fließendes Wasser, nur kaltes Regenwasser und zwei Stehtoiletten. Trotz ihrer Einfachheit und Enge hatte die Hütte jedoch sehr viel Charme. Ein Ofen bullerte im Gastraum, Annegret gewann die Freundschaft der kleinen Hauskatze und unser Matrazenlager unterm Dach war mit acht Personen gut gefüllt. Drei Decken, lange Unterhosen und -hemden und teilweise Mützen schützten gegen die Kälte im Schlafraum. Nicht nur das Waschen war ein Abenteuer!
Zum Abend gab es Spaghetti, Polenta und Spiegelei mit Speck sowie ein Stück Apfelstrudel.

5. Etappe: Von der Nuvolao-Hütte zur Croda da Lago
Ein herrlicher Sonnenaufgang, bereifte Tische und Bänke sowie eine Temperatur von +2 °C begrüßten den Morgen des 3. September 2007.
Nach dem einfachen Frühstück – wahlweise Brot mit Marmelade oder Spiegelei mit Speck – präparierten wir uns zunächst für den frostigen Abstieg mit Handschuhen und Mützen.
Wir konnten es kaum glauben, dass wir an der Rifugio Cinque Torri eine Cappuccinopause im Freien machen konnten. Die Temperatur hatte sich normalisiert und der weitere Verlauf der Wanderung verlief im Sonnenschein über Wiesen mit vielen Pilzen und Herbstzeitlosen bis zu einem Bach. Hier fanden wir einen idealen Picknickplatz, teilten unsere Schätze und sammelten Kraft für den nächsten Aufstieg von 350 Meter Höhe. Dabei konnten wir immer wieder Blicke auf die bereits bewältigte Strecke in der Ferne und auf die Stadt Cortina zu unseren Füßen werfen.
Gegen 15.00 Uhr, genau richtig zur Käffchenzeit, Ankunft an der Rifugio am Lago Fedora. Diese Hütte lag malerisch am Ufer des Sees und Winnetou schien nicht weit zu sein.
Es gab wieder eine warme Dusche mit Duschmarke und auch zwei verschiedene Waschräume, jedoch nicht getrennt nach Geschlechtern. Inzwischen hatten wir uns an die Rustikalität der Hütten gewöhnt und freuten uns über alle zusätzlichen Annehmlichkeiten wie einen Trockenraum. Bei der Diskussion über die weiteren Etappen verspeisten wir leckere Quarktorte und tranken heiße Schokolade. Die Abendessenbestellung wurde aufgenommen: Spaghetti, Polenta und Gemüsesuppe. Danach tauschten wir uns mit weiteren Hüttenfreunden über deren Wandererfahrungen aus.
Ein ruhiger Tag ging bei einer heißen Partie Mensch-ärgere-dich-nicht zu Ende.

6. Etappe: Von der Croda da Lago zur Città di Fiume
Unbeabsichtigt früh klingelte der Wecker. Das hatte den Vorteil, dass die engen Waschräume noch leer waren und wir uns bequem frisch machen konnten. Punkt 7.00 Uhr waren wir beim Frühstück. Danach packten wir wie jeden Tag unsere Rucksäcke. Die Sonne meinte es wieder gut mit uns. Doch hob sie die Morgentemperatur von +3 °C im Laufe des Tages nur wenig an. In der Ferne auf den Bergspitzen lag der erste, frische Schnee.
Wir beschlossen, den See zu umrunden, und hatten dabei viel Spaß beim Klettern und Fotografieren. Nach diesem Spaziergang ohne Gepäck brachen wir zur nächsten Etappe auf. Sie begann sogleich mit einem Aufstieg. Auf dem Gipfel blies der Wind kalt. Eine große, graue Schneeregenwolke drohte im weiteren Verlauf der Wanderung sich zu entleeren. Damit trieb sie uns zu schnellen Schritten an und schickte später auch einige Vorboten des noch fernen Winters. Schneeflocken im September? Wir sollten sie noch genauer kennenlernen.
Gegen 14.00 Uhr erreichten wir die Hütte mit rot-weißen Fensterläden. Der Innenraum war gemütlich. Ein Feuerchen brannte bereits im Kamin und die Equipe machte einen ausgesprochen lebensfrohen Eindruck. Zum besonderen Komfort der Hütte gehörten eine Bibliothek und eine Spielesammlung. Wir betrachteten bei heißer Schokolade, die löffeldick wie Schokopudding war, die Klettersteige der Dolomiten in einem Buch. Jens legte sich für einige Zeit in eines der sechs Betten unserer Unterkunft und wurde erst zum Abendessen wieder gesehen. Energiereiche Spaghetti und eine Art Gemüsekuchen wurden serviert. Dazu wahlweise Bier oder Radler. Bei einer Runde Scotland Yard und Mr. X ließen wir diesen ruhigen Wandertag ausklingen.

7. Etappe: Von der Città di Fiume zur Rifugio Coldai
Das bisher magerste Frühstück der Wanderung erwartete uns mit Weißbrot, Zwieback und etwas Marmelade. Das sollte Kraft geben für die Route? Wir blieben zu Recht skeptisch.
Auf unsere Frage, wo man Brot u. a. für unterwegs kaufen könnte, bekamen wir je eine Tüte mit einem in Scheiben geschnittenen Brötchen und zwei Tütchen Sesamstangen für je 2 Euro ausgehändigt. Besser als nichts, sagten wir uns und marschierten etwas verwirrt los. Schon bald meldete sich der erste Hunger nach kurzweiliger Wanderung durch Nadelwald und über Berg und Tal. Blaumeisen, Wacholderbeeren, Fliegenpilze und Sonne begleiteten uns bis zu einer Hauptstraße. Hier befand sich ein Ristorante gleich am Straßenrand, aber wir wollten noch etwas weiter laufen. Eine Käserei war angekündigt, in der wir hofften, einkaufen zu können. Die Hofwirtschaft kam schon bald in Sicht. Wir stürmten hinein, erstanden zwei große Stücke Käse, ein Stück Speck (Schinken) und aßen mit Appetit, jedoch sorgenvollem Gesicht ob der aufziehenden Wolken ringsum. Es dauerte nicht lange und feiner Schneefall setzte ein. Wir waren auf alle Wetterkapriolen eingerichtet und konnten uns dementsprechend umziehen. Der Wind fauchte immer kälter und kräftiger. Der steile Aufstieg zur 2132 Meter hoch gelegenen Coldai-Hütte wurde zur Expedition. Wir benötigten insgesamt zwei Stunden, ehe wir im dichter werdenden Schneetreiben am Tagesziel anlangten. Uns war etwas bange, denn wir hatten zum ersten Mal nicht reserviert und die Hütte war voller schutzsuchender Wanderer. Unsere Sorge erwies sich als unbegründet, denn die meisten machten nur eine Pause und wir bekamen ohne Umschweife ein 4-Bett-Zimmer. Der Wind heulte kräftig um die Hausecken, aber unsere Neugier auf den gepriesenen See nahe der Hütte trieb uns nochmals hinaus. Zuvor hatten wir uns mit heißer Suppe gestärkt. Unser kleiner Ausflug wurde belohnt mit schönen Motiven und Gefühlen wie im Himalaya. Im Windschatten auf der anderen Seite des Sees konnten wir sogar ein paar letzte Sonnenstrahlen genießen. Bei unserer Rückkehr fanden wir unvorstellbar eiskalte Waschräume und zugige Duschen vor, so dass nur eine kleine Wäsche möglich war.
Im kamingeheizten Gastraum wärmten wir uns auf, schrieben Ansichtskarten, lasen und ließen uns das Abendbrot mit Bratkartoffeln, Rindersteak, Salat und Spiegeleiern schmecken.
Die ganze Nacht hindurch stürmte es weiter und wir hofften, am nächsten Tag wie geplant laufen zu können.

8. Etappe: Von der Rifugio Coldai zur Vazzoler Hütte
Nach eisiger Nacht und orkanartigen Stürmen, bei +1 °C Außentemperatur, gingen wir nach wiederholter « Katzenwäsche » voller Enthusiasmus zum Frühstück. Umso größer war unsere Enttäuschung, als lediglich Weißbrot und Marmelade sowie eine Tasse Kaffee gereicht wurden. Das sah nach frühem Picknick aus. Aber womit? Unser Proviant schmolz. Sozusagen « auf dem Weg » lag die Tissi-Hütte und wir beschlossen, dort zur Mittagspause einzukehren. Zu dem Zeitpunkt schienen uns die knapp 200 Höhenmeter Aufstieg leicht zu bewältigen. Nur wußten wir noch nicht, dass wir zunächst absteigen und dann fast senkrecht zur Hütte hinaufkraxeln würden.
Der Abstieg, nochmals am See vorbei, war angenehm zu gehen. Der Wind ließ mehr und mehr nach und wir konnten unsere Winterkollektion Stück für Stück ablegen. Nach dem wie gesagt harten Anstieg zur Tissi-Hütte erwarteten uns eine nette Hüttenwirtin, heiße Milch, Spaghetti und Torte sowie ein wunderschöner Fernblick. Etwas höher stand ein Gipfelkreuz, zu dem wir nach dem Essen hinaufstiegen und vor dem 1300 Meter tiefen Abgrund ehrfürchtig stehen blieben. Die Knie konnten einem da schon weich werden. Ralf näherte sich auf dem Bauch robbend dem Rand des Felsen. Nach Fotonahme und mit neuer Kraft ging es nun hinunter durch das sanfte Val Civetta. Fast etwas kitschig-romantisch kam es daher. Es fehlten nur Heidi und Peter. Einige Felsbrocken lockten zum Klettern, andere lagen schroff und abweisend im Gras. Eine andere Ansicht der Dolomiten breitete sich hier vor uns aus.
Nach zehnminütigem Straßenlauf kamen wir bei Sonnenschein und deutlicher Erwärmung an der recht großen Hütte des italienischen Alpenvereins an. Im Inneren der Vazzoler Hütte versammelten sich Bergsteiger, Kletterer und Wanderer. Die Zimmer waren allerdings winzig und wir hatten zum ersten Mal keinen Platz für unsere Rucksäcke. So mußten wir sie unter den Betten verstauen. Auch das Duschen erwies sich als schwierig. Die erste Marke lief durch, ohne dass ein Tropfen warmes Wasser kam. Es klappte dann erst bei der zweiten Duschmarke, die mir Ralf gern überließ.
Wieder mal Polenta, Nudeln und Spiegelei stillten beim Abendbrot unseren Appetit. Bei lustigem Kartenspiel mit kleinen Diskussionen über die Spielregeln ließen wir den facettenreichen Wandertag ausklingen.

9. Etappe: Von der Vazzoler Hütte zur Rifugio C. Tome am Passo Duran
Blauer Himmel, Sonnenschein und bereits +9 °C versprachen einen schönen Tag.
Das Frühstück der Vazzoler Hütte war die bisherige negative Krönung unserer Erfahrungen: Für 4 Personen 3 Brötchen, etwas Zwieback und Marmelade. Ein Extrakorb Brot, der doppelt so voll war wie der erste, kostete 2 Euro extra. Ebenso war das heiße Wasser für den Tee mit 2,50 Euro das Teuerste seiner Art. Wir waren sehr erstaunt über die mangelhafte Versorgung besonders am Morgen. Gerade zu dieser Hütte führte ein bequemer Fahrweg, der für leichte Anlieferung von Lebensmitteln etc. in Frage kam.
Nach kurzer Visite im verwilderten botanischen Garten neben der Hütte liefen wir gemeinsam los. Im Laufe des Tages wanderten wir über weite Strecken jeder im eigenen Rhythmus. Zuerst gab es einen Abstieg entlang der Straße, danach einen Anstieg durch ein Waldstück zu bewältigen. Einige Male orientierten wir uns an Steinmännchen, da der Weg in den Abstürzen der Moiazze im Geröll kaum sichtbar war. Ralf lief voran und kam uns später zur Unterstützung an schwierigen Stellen entgegen. Wir machten eine erste Rast am Waldesrand und stiegen über den Col de l’Ors bis zur Carestiato-Hütte am Col dei Pass ab.
Schöne Blicke gab es auf den Talkessel Agordo und die umliegenden Berge. Die Hütte schien neu renoviert zu sein. Für Reservierungen war sie jedoch telefonisch nicht erreichbar, so daß wir im Vorfeld bereits beschlossen hatten, bis zur Rifugio am Passo Duran weiterzulaufen. Doch ein Zwischenstopp mit frisch gezuckertem Apfelstrudel kam nach den Strapazen des Auf und Ab wie gerufen. Anschließend war es noch ein kurzer, leichter Abstieg hinab zur Tome-Hütte, die wir gegen 17.00 Uhr erreichten. Hier erwartete uns eine große, warme Dusche ohne Limit und Duschmarke, die beste seit Tagen. Doch damit nicht genug. Zum Abendessen gab es ein Salatbüfett und uns wurden frische Äpfel als Nachtisch gereicht! Dazwischen servierte der Wirt, der selbst aktiver Bergsteiger war und daher vermutlich wußte, was ein Wanderer zur Stärkung braucht, Minestrone, Polenta mit Steak und natürlich Spaghetti.
Der Tag endete mit Kartenspiel und Tierbeobachtung.

10. Etappe: Von der Rifugio C. Tome zur Rifugio Pramperèt
Nach etwas unruhiger Nacht und unruhigem Morgen (drei italienische Gäste kamen spät und gingen früh) wurden wir mit einem zünftigen Bergsteigerfrühstück verwöhnt. Es gab Schwarzbrot, Müsli, Orangensaft und guten Kaffee. Das war genau das Richtige für den Beginn eines Wandertages. Gut gestärkt liefen wir zunächst auf der Straße, bevor nach zwei Kilometern der Abzweig in den Wald folgte. Hier hatten wir gleich wieder einen heftigen Anstieg zu bewältigen. Der Weg blieb den ganzen Tag abwechslungsreich und wir konnten spektakuläre Dolomiten-Ansichten genießen. Auch Klettereien mußten bewältigt werden. In einem Nadelwaldgebiet und später an der Ruine einer ehemaligen Festung machten wir längere Pausen.
Das letzte Stück der Wanderung hielt nochmals Auf- und Abstiege bereit, bevor wir auf einer Lichtung die Rifugio Pramperèt vor uns erblickten. Sie bestand aus zwei Häusern: Dem Schlafhaus mit mehreren Dreifach-Etagenbetten und einem Verschlag mit zwei Doppelstockbetten sowie dem Wirtschaftshaus. Hier befanden sich Küche, Waschraum, Toiletten und Speiseraum. Wir bekamen den separaten Raum zum Schlafen zugewiesen, was uns zunächst erfreute. Eine 30 Personen zählende italienische Wandergruppe war für den größeren Teil des Schlafhauses angemeldet und wir stellten uns die Gruppe recht temperamentvoll vor. Jedoch ruhte es sich in dem Verschlag nicht besonders gut. Ich für meinen Teil fror fast die ganze Nacht erbärmlich.
Der Waschraum war rustikal und wir hatten richtig entschieden, uns bald nach der Ankunft zu erfrischen, bevor die zahlreichen Wanderer des Vereins ankamen. Von der Terrasse aus beobachteten einige Gäste mit Ferngläsern Gemsen am gegenüberliegenden Hang. Im verräucherten Gemeinschaftsraum bekamen wir Gulasch mit Polenta und Gemüsesuppe serviert. Eine Diskussion über den weiteren Verlauf der restlichen Kilometer blieb an diesem Abend ohne endgültiges Ergebnis und wurde über Nacht entschieden.
Der Abendhimmel war sehr klar und übersät mit Sternen. Die Italiener sangen etwas, hielten sich aber dann an die ab 22.00 Uhr herrschende Hüttenruhe.

11. Etappe: Von der Rifugio Pramperèt zur Rifugio Bianchet
Am heutigen Tag hatten wir eine der anstrengendsten Etappen vor uns. Es galt, etliche Höhenmeter, einen Felsgrat und zwei heftige Abstiege zu meistern.
Die Hoffnung auf ein schönes Frühstück, hervorgerufen durch den Satz « It’s self service », wurde beim Anblick von lediglich frei wählbaren Getränken jäh zerstört. Wieder gab es abgezähltes Weißbrot, Marmelade und etwas Honig. In weiser Voraussicht auf die anstrengende Tour hatten wir etwas Proviant gespart und kauften zudem noch zwei Tafeln Schokolade als Notreserve. In den Hütten wurde überall Ritter-Sport-Schokolade angepriesen, was für uns auf einen Werksvertrag hindeutete.
Von der auf 1857 Meter liegenden Hütte stiegen wir auf gutem Pfad, später auf einer Steigspur über die Portèla del Piazedèl zur auf 2395 Meter liegenden Forcella Sud dei Van di Città hinauf. Der Anblick der fast trostlosen Mulden der Van di Città zwischen den Cime di Città und der Talvana mutete fast ein wenig feierlich an. Gegenüber sahen wir die Schiara mit dem Felsdorn Gusela. Ein einmaliges Panorama der Tour offenbarte sich an diesem Punkt.
Froh, diese erste Herausforderung gemeistert zu haben, starteten wir nach kurzem Innehalten zum langen Abstieg bis zur Hütte Pian de Fontana. Diese erreichten wir bei 1632 Meter nach mehr als zwei Stunden. Unterwegs beobachteten wir eine Murmeltierfamilie und Rotschwänzchen. An der Hütte war die Schafschur in vollem Gange und ließ sich vom sonnigen Terrassenplatz aus gut beobachten. Ziemlich erschöpft und fußlahm legten wir eine längere Pause ein.
Die zweite Runde des Tages begann wiederum mit einem Anstieg durch ein schattenspendendes Buchenwäldchen und endete mit einem langen Abstieg über schmale Wege ins Tal zum Pain dei Gat, wo die Rifugio Bianchet mit knisterndem Kaminfeuer auf uns wartete. Das Zimmer war angenehm, die Betten mit kuschligen Steppdecken ausgerüstet und die Dusche mit fünf Minuten Laufzeit ausreichend zum relaxenden Waschen und Erfrischen. Ein blutjunger Gastwirtssohn betreute uns freundlich und umsichtig. Zur Auswahl am Abend standen Polenta, Spaghetti und Suppe. Niemand von uns wollte mehr Polenta; wir wählten alle Spaghetti. Als besondere Leckerei erwies sich das Dolce (Süßspeise) in Form einer köstlichen Schokoladentorte.
Gemeinsam hatten wir diese schwere Etappe geschafft und hatten nun nur noch den Abstieg zum Bus nach Belluno vor uns. Die Bewältigung des Höhenweges Nr. 1 ging seinem Ende entgegen. Nach vollen Hütten am Angang des Weges waren wir hier zu sechst in der für 36 Personen Platz bietenden Hütte untergebracht.
Mit einem Glas Rotwein stießen wir an auf die bislang gelungene Wanderung.

12. Etappe: Der Endspurt
Ein Bus sollte uns in Richtung Belluno, dem Ziel unserer Wanderung, bringen. Dessen Haltestelle befand sich an einer Landstraße, ca. zwei Stunden von der Bianchet-Hütte entfernt. Vor uns lagen nochmals 800 Meter Abstieg ins Tal. Das letzte Hüttenfrühstück war zwar dürftig, aber liebevoll serviert, und wir starteten pünktlich 8.30 Uhr, um genügend Zeit zu haben. Zunächst liefen wir auf einer Fahrstraße und bogen später, nach einem Hinweisschild auf den Bus, auf einen steileren, engeren und holprigen Pfad ab. Noch einmal waren Kletterkünste und Kondition gefragt. Der Weg zog sich und wir brachten viel Energie auf, ihn zu meistern. Bald hörten wir das Brummen von Motoren, aber noch war kein Fahrzeug zu sehen. Der Lärm, der die nahe Zivilisation ankündigte, verstärkte sich mehr und mehr.
Gegen halb elf Uhr vormittags kamen wir an der Bushaltestelle an und mußten feststellen, dass seit einem Tag der Winterfahrplan galt und der von uns gewählte Bus gestrichen war! Der nächste Transport war erst zwei Stunden später regulär möglich. Wir ließen uns die gute Laune nicht verderben und versuchten zunächst, ein Taxi zu rufen. Das mißlang jedoch und wir beschlossen zu trampen. Nach einiger Zeit hielt das erste Auto an und nahm vier von uns sechs Wartenden mit. Es war ein schneller, unvorbereiteter Abschied nach zwölf Tagen dichtem Beieinander. Wir versuchten nun auch unser Glück. Ein sehr rasanter Fahrer hielt unvermittelt an und nahm uns bis 7 km vor Belluno mit. Das weitere Trampen mißlang. Bei einem kleinen Imbiß warteten wir auf den nächsten Bus. Mit diesem fuhren wir bis zum Hauptbahnhof von Belluno. Hier lösten wir eine Fahrkarte nach Calalzo. Kurz sahen wir auch noch einmal unsere Mitstreiter, ehe die Reise weiterging. Alles klappte wie am Schnürchen: Von Calalzo mit dem Bus nach Cortina. Dort hüpften wir in den schon wartenden Autobus nach Toblach, wo unser Auto seit zwölf Tagen auf unsere Rückkehr wartete. In Toblach wurden unsere Schritte immer schneller und schneller und hocherfreut erblickten wir den unversehrten VW Polo auf dem Parkplatz. Nun konnten wir entspannt die Schuhe wechseln, das Gepäck verstauen und einige letzte Erinnerungsfotos machen. Das Abzeichen für die Meisterung des Höhenweges konnten wir allerdings weder in Toblach noch in Prags erhalten. Aber wir hatten ja alle Stempel und die Eindrücke in uns, die uns niemand mehr nehmen konnte!
An diesem Abend des 10. September fuhren wir noch bis ins Pustertal, wo wir in einem Landgasthof übernachteten. Die reichhaltige und würzige Pizza beim Lodenwirt war ein Hochgenuß. Am nächsten Morgen begannen wir die lange Rückreise in unsere Wahlheimat Südfrankreich und kamen am 11. September gegen Mitternacht in Montpellier an.
Hier schloss sich der Kreis und wir werden noch oft an dieses einmalige Erlebnis denken.

Ce contenu a été publié dans 2007, Birgit, Italien, Ralf, avec comme mot(s)-clé(s) , . Vous pouvez le mettre en favoris avec ce permalien.