Vor mehr als 15 Jahren zogen wir nach Südfrankreich, weil Ralf in Montpellier eine Arbeitsstelle in der Forschung gefunden hatte, was ihm in Deutschland verwehrt worden war. Eine seiner ersten Dienstreisen führte damals nach Aussois im Savoie, wohin ich ihn begleiten durfte. Diese besondere Tagung der Biologen findet aller 2 Jahre statt; so auch in diesem Jahr. Ich konnte noch einmal dabei sein und habe die wunderschöne Winterlandschaft so richtig genießen können. Wahrscheinlich war dies das letzte Mal für uns beide.
Tag 1:
Nach der 7h-stündigen Anreise mit dem Bus begannen am Dienstag, den 14. Januar, die wissenschaftliche Tagung und für mich ein paar Urlaubstage. Nach dem Frühstück, wo mich Ralf einigen Kollegen vorstellte, ging ich zurück ins Zimmer und las in meinem Winterschmöker. Gegen 10h kam die Sonne um die Ecke und lockte mich hinaus. Ich begab mich auf einen immer der Nase nach-Spaziergang. Zunächst versuchte ich mich dabei an die mir nicht unbekannte Umgebung zu erinnern. Ich erklomm die Schneepisten mit den verschiedenen Sesselliften und erfreute mich beim Beobachten der Kleinsten auf ihren Skiern. Danach stieg ich hinab ins Dorf, erkannte das Geschäft für Käsespezialitäten wieder, querte das Zentrum in Richtung Kirche und folgte weiter meiner Nase. Schließlich stapfte ich über ein weites unberührtes Schneefeld und stand vor der Imkerei am Ortseingang. Von hier ging es zurück zum Hotel, denn ich wurde zum Mittagessen erwartet.
Von 14h bis 17h hatten alle Tagungsteilnehmer Freizeit, so dass Ralf und ich zusammen auf Schneeschuhtour gehen konnten. Ich hatte am Vormittag Schneeschuhe für ihn ausgeliehen, während ich meine eigenen mit im Gepäck hatte. Bei herrlichem Sonnenschein liefen wir auf schmalen Wegen an einem teilweise zugefrorenen Bach entlang. Dabei mussten wir auch die berühmten sieben Brücken überwinden, die dick mit Schnee bedeckt und unberührt vor uns lagen. Nach dem Ausflug kehrte Ralf zur Arbeit zurück. Ich beschäftigte mich währenddessen mit einer Pastellzeichnung. Abends trafen wir uns alle zum Käsefondue im Restaurant.
Tag 2 :
Der Wetterbericht versprach Sonnenschein und so bereitete ich mich gleich nach dem Frühstück auf eine Morgenwanderung vor. Ich erkor den Monolith zum Ziel. Nachdem ich den Zugang über die Straße absolviert hatte, stellte ich fest, dass der Weg ohne Schneeschuhe nicht komfortabel zu bewältigen sein würde. Leichtsinnigerweise war ich nur mit Wanderschuhen und Stöcken losgegangen. Ich kehrte um und lief mal wieder meiner Nase nach, was im nachhinein eine gute Wahl war. Ich nutzte breit angelegte Wege im Schnee, genoss das Glitzern der weißen Pracht in der Sonne und die frische Winterluft. Mehrmals musste ich mich an Kreuzungen für eine Richtung entscheiden, was eine rechte Kringelei auf der Wanderkarte aufzeichnete. Die Mittagszeit kam näher und ich suchte einen Rückweg zum Ferienhotel. Das Dorf lag vor mir in Sichtweite, allerdings durch eine tiefe Schlucht getrennt. Was tun? Vorsichtig, Schritt für Schritt rutschte, taumelte, glitt ich den schmalen Pfad hinab. Von Kälte keine Spur mehr. Unten angekommen stand ich vor der Eselstation, die sich im Winterschlaf befand. Das Ferienhotel lag nun hoch über mir. Der Aufstieg ließ sich nicht vermeiden, war aber leichter als gedacht. Mit roten Wangen kam ich zum Mittagstisch, wo ich mit Appetit Couscous, gekochtes Rindfleisch und weiße Bohnen verspeiste.
Der Nachmittag gehörte wieder uns beiden. Ralf hatte bereits eine Tour im Kopf, die am Rande von Aussois durch den Wald in Richtung Fort Marie-Christine führen sollte. Bereits der Einstieg wurde zu einer kleinen Herausforderung, denn der ausgewiesene Weg war vom Schnee verschüttet. Wir rutschten seitwärts hinab, schnallten die Schneeschuhe an und los ging’s. Erst ganz gemächlich. Dann begann erneut die Suche nach dem markierten Weg. Ralf hieß mich zu warten und begab sich auf Erkundung durch unberührtes Land. Nach einiger Zeit rief er mich zu sich und behauptete, dass er den geplanten Wanderweg gefunden hätte. Ich war ehrlich gesagt etwas misstrauisch. Ich murmurte vor mich hin, denn von Weg konnte absolut keine Rede sein. Ich sah nur Bäume, unwegsames Gelände und einen Bach. Ri-Ra-Rutsch und ich fuhr auf dem Popo Schlitten bis vor Ralfs Füße. Das Ganze war so absurd, dass wir einfach nur heftig lachen mussten. Nun ging das Abenteuer weiter. Eine Fußspur bezeugte glücklicherweise, dass hier vor uns bereits jemand gelaufen war. Wir stapften über Brücken und Pfade durch ein malerisches Tal, bis es steil und schmal bis zu einem ersten Ausguck aufwärts ging. Wunderschön gewachsene, kräftige Kiefern gaben uns das eine und andere Mal Halt auf den teilweise recht glatten Wegen. Wir erreichten den Gipfel und konnten Aussois aus einer anderen Perspektive betrachten. Nochmals liefen wir durch ein malerisches Waldstück und die Eselsschlucht, die ich am Morgen schon einmal bewältigt hatte. Was für eine Wahnsinnstour, die uns auch wieder als Paar bestätigt hatte. Ralf kehrte zum Meeting zurück und ich fertigte eine weitere Zeichnung an.
Tag 3:
Am Morgen zeigte sich der Himmel bedeckt und es wehte ein eisiger Wind. Ich schrieb einige Postkarten und begab mich gut eingepackt nochmals auf die sog. Piste. Meine Neugier führte mich durch den Ort bis zum Campingplatz. Ich wollte wissen, wo und ob es dahinter weiterging. Tatsächlich: ein breiter, beräumter Weg lud zum Spazieren ein. Dummerweise hatte ich meine Stöcke nicht mitgenommen, was mir später ein wenig Schwierigkeiten beim Kraxeln bereiten sollte. Ich bewanderte das Gebiet, wo mehrere Befestigungen erbaut worden waren. Klettern mag ich ja sehr und so erkundete ich die erste Ruine, von der ich einen schönen Blick übers Tal und zum Fort Marie Christine hatte. Sie lag einen Steinwurf entfernt in der Sonne und ich marschierte direkt dorthin. Vor dem Fort stand eine Infotafel, vor der ich plötzlich stürzte, denn ich hatte das Glatteis unterschätzt. Zum Glück blieb es bei blauen Flecken und einem Schreck. Ich besichtigte nun vorsichtig geworden die intakte Festung und war erstaunt, dass es hier oben sogar ein Restaurant sowie eine Teestube gab! Nachdem ich ein wenig die Ruhe und die inzwischen hervorgekommene Sonne genossen hatte, begab ich mich auf den Rückweg durch den Wald. Ich glaubte, dass ich den Weg von der gestrigen Wanderung wiedererkennen würde. Allerdings gab es mehrere Pfade und ich griff mehrmals in den Schnee, ehe ich auf dem Richtigen war. Zufrieden und voller Erlebnisse kam ich im Hotel an, wo das Mittagessen schon auf mich wartete . Es gab Entenschlegel mit gedünstetem Chicorée und Kartoffelspalten.
Nach dem Essen bezahlten wir unsere Rechnungen für den Aufenthalt in Aussois und begaben uns ein letztes Mal gemeinsam mit Schneeschuhen auf die Piste. Es wurde eine kleinere, romantische Runde auf dem Plateau. Wir traten kurz in den verschneiten archäologischen Garten ein, bevor es durch ein Waldstück zurück zum Hotel ging. Wir säuberten unsere Raquettes und ich brachte das ausgeliehene Paar zurück. Ralf hörte erneut wissenschaftliche Vorträge und ich nahm eine schöne heiße Dusche. Anschließend las ich in alten Aufzeichnungen und traf mich dann wieder zum Abendessen am runden Tisch mit Ralf und seinen Kollegen. Es kam zu lebhaften Gesprächen über dies und das. Ein angenehmer Abend, den wir beide mit einem Spaziergang durch das beleuchtete Alpendorf beendeten.